Interview mit Marketingleiter Peter Fischer mit der Redaktion der DICHT!: Hoher Aufklärungsbedarf hinsichtlich Möglichkeiten und Grenzen von Flüssigdichtungen

FLÜSSIGDICHTUNGEN – Das Potential dieser Dichtungen wird gerne unterschätzt und „kontrovers diskutiert“. Was an dieser Einschätzung dran ist...

Worin liegen die Vorteile der mithilfe der FIPFG Technologie aufgetragenen Dichtungen gegenübereingelegten Dichtungen?

Fischer: Diese Vorteile tangieren verschiedene Bereiche. Im Kern resultieren sie aber aus den größeren konstruktiven Freiheitsgraden, dem automatisierten Aufbringen von Dichtungen und der hohen Qualität und Reproduzierbarkeit des Applikationsprozesses. Letztendlich muss ich die Dichtungen nicht vor der Montage aufwändig herstellen und kann schnell reagieren, wenn die Funktion der Dichtung nicht den Anforderungen entspricht. Betrachtet man einen „Meter Dichtung“, ist die Flüssigdichtung auch billiger als eine konventionelle Dichtung…

… bei einer Vollkostenrechnung sieht das aber schnell anders aus…

Fischer: …das ist richtig, die Investition in die Anlagentechnik führt dazu, dass sich die Technik – in Abhängigkeit von Größe und Komplexität der Dichtung – ab ca. 300.000 Stück/Jahr rechnet.

Nun entscheiden ja Konstrukteure, Einkäufer und Qualitätsmanager über den Einsatz einer Flüssigdichtung. Gibt es hier „Treiber“ und „Blockierer“?

Fischer: Das kann man pauschal nicht sagen. Tendenziell ist es aber so, dass Konstrukteure aufgrund von Unwissenheit das Potential von Flüssigdichtungen oft gar nicht richtig kennen, obwohl es ihnen viele Vorteile bieten würde, z. B.  größere konstruktive Freiheitsgrade oder durch einfacheren Ausgleich von konstruktiven Mängeln. Zusätzlich ist die Denkweise „das haben wir schon immer so gemacht“ eine ziemliche Hürde. Die Bereitschaft sich „Arbeit“ mit neuer erfolgversprechender Technologie zu machen, ist oft nicht ausgeprägt. Einkäufer rechnen das Thema pragmatisch – auch unter dem Aspekt, dass Maschinen für mehrere Produkte über einen langen Life-Cycle eingesetzt werden können, was sich positiv auf die Gesamtkosten auswirkt. Qualitätsmanager lassen sich i.d.R. schnell von Aspekten wie hoher Wiederholgenauigkeit durch den Roboterauftrag, eine Dokumentation des Montageprozess und der Vermeidung von kritischen Stellen wie Nahtstellen überzeugen.

Welche Branchen sind prädestiniert für den Einsatz von Flüssigdichtungen?

Fischer: Da sind zunächst die Bereiche, in denen Flüssigdichtungen State of the Art sind – wie Verpackungen, Feuchtraumleuchten und der Schaltschrankbau. Zunehmend nachgefragt werden Flüssigdichtungen auch im Bereich der weißen Ware und der Filtertechnik. Einsatzbereiche sind z.B. die Endkappen von Filtern, Pollenfiltern und Reinraumfiltern. Die Automobilindustrie ist für uns mit mehr als 400 Anwendungen der ein wichtiger Innovationsmotor. Hier werden nahezu in allen Bereichen eines Fahrzeuges Flüssigdichtungen zum Dichten und zur Dämmung eingesetzt.

„Innovationsmotor Automobilindustrie“ – heißt das, dass viel getestet, aber wenig in Serien eingesetzt wird?

Fischer: Im Kern ist das richtig. Die Automobilhersteller verfolgen verschiedene Ansätze und setzen derzeit unterschiedliche Technologien ein, um Erfahrungen zu sammeln. Die fließen dann in neue Konstruktionen ein – und das ist ein langwieriger Prozess. Hier könnten wir schon weiter sein, da die Vorteile gegenüber konventionellen Dichtungen auf der Hand liegen. Es hängt hier – wie schon gesagt – oft an den Konstrukteuren und hier besteht hoher Aufklärungsbedarf.

Ein Modethema ist derzeit die Nachhaltigkeit – gilt das auch für Flüssigdichtungen?

Fischer: Das ist recht unterschiedlich, je nachdem, welchen Aspekt Sie betrachten. Die Low-Emission-Anforderungen nehmen zu und werden weiter zunehmen. Sie werden z. B. bei Fahrzeugen aus dem Innenraum in andere Bereiche wie den Motorraum übertragen. Auf der Werkstoffseite muss man das „Modethema“ differenzierter sehen. Bio-Werkstoffe auf Biopolyol-Basis werden von Sonderhoff schon seit Jahren hergestellt. Hier wird es weitere Entwicklungen geben, wenn die Grundstoffhersteller neue Polyole anbieten. Ansonsten wird derzeit mehr zu diesen Themen geschrieben, als man in der Praxis beobachten kann. Ein ganz anderes Thema sind Ökobilanzen. Sie werden derzeit noch nicht von Anwendern verlangt. Das Thema wird aber kommen.

Wie schätzen Sie die Entwicklung bei Flüssigdichtungen ein, wie dynamisch ist sie tatsächlich?

Fischer: Das ist schwierig zu beantworten. Immerhin sind wir seit 1958, beginnend mit 1K-Dichtungsmassen für Metall-Metalldichtungen, in diesem Geschäft aktiv. Wir haben uns als FIPFG-Pioniere über drei Generationen aus einem Chemieunternehmen entwickelt. Heute produzieren wir mehr als 5.000 t Komponenten für Dichtungen an den Standorten Köln, Chicago und – ab 2013 – auch in Shanghai. Daneben sind wir Hersteller von Niederdruck Misch- und Dosieranlagen und bieten Lohnschäumen als Dienstleistung an. Flüssigdichtungen sind also unser Geschäft.

Die Dynamik im Bereich der Flüssigdichtungen entsteht m. E. durch die steigenden Anforderungen an eine moderne Dichtungstechnik in vielen Branchen und den daraus resultierenden Entwicklungen bei Werkstoffen, die wir inzwischen in mehr als 1.000 Formulierungen anbieten, sowie der Dosier- und Auftragstechnik. Für uns als Zulieferer der Global Player aus der Industrie kommt dann noch der dynamische Aspekt der Internationalisierung dazu. Hierfür bauen wir konsequent unser weltweites Vertriebsnetz mit eigenen Gesellschaften aus.

Wäre ein Vertriebsnetz, basierend auf Lizenzpartnern, nicht schneller und ressourcenschonender?

Fischer: Das dachten wir anfangs auch, aber es haben sich nicht überall die gewünschten Erfolge eingestellt, da die Lizenzpartner teilweise konkurrierende Produkte vertrieben haben und die Philosophie öfter nicht gestimmt.

Was meinen Sie mit Philosophie?

Fischer: Wir sehen uns als Technologieführer, nicht als Preisführer. In den USA wird aber primär margen- und mengenorientiert vertrieben. Bei uns kann ein Kunde auch kleine Abnahmemengen bestellen, ohne dafür „Mondpreise“ zahlen zu müssen. Das können Sie mit einem dortigen Vertriebspartner nicht darstellen. In Märkten, in denen der Zugang schwierig ist, wenn man nicht die notwendigen Kenntnisse hat, – Japan ist so ein Beispiel – dort arbeiten wir aber auch mit Lizenzpartnern.

Ab 2013 produzieren Sie auf dem chinesischen Markt. Ist ein solcher Schritt unter Technologieaspekten nicht auch risikobehaftet?

Fischer: Marktnähe ist sehr wichtig für uns und unsere Kunden. Natürlich ist uns bewusst, dass in China viel kopiert wird und wir haben damit auch schon Erfahrungen gemacht, z. B. haben wir unsere Anlagenbilder in Katalogen von lokalen Wettbewerbern wiedergefunden. Kopiert werden kann bei einer Misch- und Dosieranlage aber nur das Design. Spezifische Maschinenkomponenten oder steuerungstechnische Programmierung wie auch das langjährige Prozess-Know-how sind nicht einfach so nachzustellen. Für die Produktion der Materialkomponenten haben wir bereits ein System erarbeitet, das unser Know-how schützt.

Kommen wir zu den Werkstoffen. Welche der klassischen Rohstoffmaterialien werden in den nächsten Jahren besonders stark nachgefragt werden?

Fischer: Die Nachfrage nach Polyurethanen wird durch die steigende Nachfrage, z.B. in den BRIC-Staaten, steigen. Auch bei Silikonen erwarten wir eine steigende Nachfrage durch höhere Dichtungsanforderungen, etwa bei der Verpackungstechnik, und höhere Temperaturen.

Wie ist der Stand bei Fermaskin®, einem Dichtungsschaum mit flexibler Elastomerhaut, die Sie 2010 vorgestellt haben?

Fischer: Das Produkt ist serienreif und bei verschiedenen Anwendungen in Langzeittests. Es ist aber vielfach noch kein Druck da, auf die Serienfertigung zu wechseln, da die Dichtungen aufgrund ca. 1,5 Materialverbrauchs noch vergleichsweise teuer sind. Bei Schaltschränken gibt es interessante Einsatzbereiche, wo sich die Dichtung heute schon rentieren würde. Wir arbeiten daran, die Dichtung wirtschaftlicher zu machen und über weitere Dichtungseigenschaften die potenziellen Einsatzbereiche zu erweitern.

Welche Bedeutung hat die Anlagentechnik für die Effizienz und Qualität von Flüssigdichtungen?

Fischer: Sie hat einen entscheidenden Einfluss – die Qualität der Anlagen und ihrer Features, die Steuerungstechnik und das Prozess-Know-how haben einen hohen Einfluss darauf, ob eine Dichtung in Serie funktioniert.

Aktuell wird kontrovers über die Vorteile der Nieder- und Hochdrucktechnologie diskutiert. Wie stehen Sie als Vertreter der Niederdrucktechnologie zu diesem Thema?

Fischer: Das ist leider ein Thema, das nicht immer sachlich diskutiert wird. Jede Technologie hat ihre Berechtigung, man muss nur wissen wofür. Die Niederdruck-Technologie ist grundsätzlich flexibler. Sie kann bei allen Bauteilen mit tiefen und schmalen Nuten und schwierigen Geometrien eingesetzt werden. Und es ist ein breites Spektrum von wasserdünnen bis hochthixotropen Werkstoffen damit verarbeitbar.

Das kann „Hochdruck“ nicht – warum? Hochdruck ist konzipiert für ein Mischungsverhältnis von 1:1, die unterste Austragsmenge liegt in der Praxis bei 3-5 g. Aufgrund dieser höheren Austragsmengen lassen sich kleine Dichtungen nicht mit diesen Systemen herstellen. Sie haben zudem keine wirkliche Düse und damit einen breiteren Sprühkegel, der nicht für enge Nuten geeignet ist. Thixotrope Werkstoffe können nicht verarbeitet werden und gereinigt werden muss – entgegen der landläufigen Meinung – auch. Es stimmt auch nicht, dass Hochdrucksysteme viel schneller klebfrei sind, wir konnten dies in verschiedenen Versuchsreihen mit Sonderhoff Fast-cure Systemen nachweisen.

Worauf legen Anwender aktuell besonderen Wert?

Fischer: Sie erwarten nachvollziehbare und dokumentierte Prozesse, um die Qualität nachzuweisen. Und die Anlagen sollen rund laufen.

Was bedeutet das in der Praxis?

Fischer: Hohe Verfügbarkeit – lassen Sie mich das am Reinigungsthema erklären. Unsere Systeme sind Reaktionssysteme, die von Niederdruck Misch- und Dosieranlagen verarbeitet werden. Ob und wann gereinigt werden muss, ist abhängig von dem vorgegebenen Produktionszyklus, d. h. der Verfügbarkeit der Bauteile und der daraus resultierenden Mischkopfwartezeiten sowie der Reaktivität des eingesetzten Dichtungsmaterials.

Diese Notwendigkeit zur Reinigung wird ja öfter als Nachteil angeführt. Wir haben aber bei MOLD´n SEAL gezeigt, dass wir in einer Schicht von 8 Stunden ohne Reinigung schäumen können. Das sind ca. 3.000 Teile, womit wir uns auf „Hochdruck-Niveau“ bewegen. Unsere Kunden erwarten hier eine leistungsfähige automatische Reinigung. Diese stellen wir mit unserer Hochdruckwasserspülung und einem mechanischen Reinigungssystem, um eine Düse auch von außen zu reinigen, sicher. Darüber hinaus vermessen wir z.B. die Düse auf ihre reibungslose Funktion und bieten mit einer „geeichten“ Dosiergewichtskontrolle die zusätzliche Sicherheit, den Materialverbrauch stets konstant zu halten.

Welche Bedeutung haben Inline-Prozesse für Anwender?

Fischer: Die Inline-Verkettung von Spritzguss und Dichtungsauftrag ist derzeit ein spannendes Thema und hier konnten wir dazu lernen. Unsere Maschinen waren bisher als teil- oder vollautomatisierte Stationen ausgeführt, weil die Auftragszeit für die Dichtungsapplikation schneller ist als der Spritzgussprozess. Um diesen Zeitvorteil zu nutzen, hat man die Prozesse über Automationstechnik und Zwischenpuffer entkoppelt. Es geht aber letztendlich nicht nur um Zeitvorteile, sondern um einen abgestimmten Inline-Prozess, – den haben wir mit MOLD´n SEAL realisiert. Im Sinne der Prozessoptimierung ist das Gesamtsystem von Maschine und Reaktionseigenschaften der Dichtungskomponenten auf den Spritzgussprozess harmonisiert worden. Es kommt hier nicht auf Geschwindigkeit an. Sondern die Vorteile von MOLD´n SEAL liegen in der Einsparung von Investitionskosten und Personal durch geringen Automationsaufwand und im Ergebnis kann somit ein höherer Fertigungs-Output bei geringeren Stückkosten erreicht werden.

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